Gut beraten und persönlich unterstützt finden Menschen mit Fluchthintergrund ihren Weg in den Arbeitsmarkt
Gefördert von der Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main, der Deutsche Bank Stiftung und der randstad stiftung hat die Walter-Kolb-Stiftung e. V. ein Kompetenzzentrum für Menschen mit Migrationshintergrund und Flüchtlinge mit dauerhafter Bleibeperspektive gegründet. Die Mitarbeiter des Kompetenzzentrums helfen bei der beruflichen Integration und Nachqualifizierung. Das Zentrum ist Ansprechpartner für Arbeitssuchende, Beschäftigte und Unternehmen. Auch Social- und Soft-Skills-Trainings gehören zum Serviceangebot.
Die speziell geschulten und mehrsprachigen Berater unterstützen bei der Klärung von Aufenthaltsstatus und Arbeitserlaubnis und bei der Suche nach passenden Nachqualifizierungsangeboten. Sie helfen bei der Erstellung von Bewerbungsunterlagen, bei der Einschätzung der mitgebrachten Kompetenzen oder in arbeitsrechtlichen Fragen. Bei Bedarf können muttersprachliche Mentoren Mitarbeiter mit Fluchthintergrund in der ersten Zeit ihrer Beschäftigung begleiten.
Das Kompetenzzentrum hat im Juli 2017 seine Arbeit aufgenommen und stützt sich auf ein breites Netzwerk von Unternehmen, Bildungseinrichtungen sowie Kammern, Verbände und Arbeitsagenturen. Die randstad stiftung förderte das Kompetenzzentrum von 2017 bis 2019.
Berichte
Zwischenbericht – Erstes Halbjahr 2019
Im Zeitraum vom 01.01.2019 bis zum 31.06.2019 haben 125 Personen mindestens eine Beratung im Rahmen des Kompetenzzentrums für berufliche Integration und Nachqualifizierung in Anspruch genommen. Damit bearbeitet das Team rund 21 Beratungen im Monat. Aufgrund der Vielfalt der Beratungsanfragen und der heterogenen Zielgruppe bleibt somit die Nachfrage in Relation zur Kapazität der Einrichtung auf einem hohen Niveau. Wie vielfältig die Beratungsanfragen sind möchten wir im Folgenden etwas näher beleuchten.
1. Angaben zur Staatsangehörigkeit
Wie bereits in der gesamten Projektphase hat sich das bunte Spektrum der Herkunftsländer, aus denen Beratungsanfragen an das Kompetenzzentrum gerichtet werden, nicht geändert. Im ersten Halbjahr 2019 haben Menschen aus 35 unterschiedlichen Herkunftsländern eine Beratung im Kompetenzzentrum für berufliche Integration und Nachqualifizierung wahrgenommen. Die Top 8 der Herkunftsländer sind dabei Syrien, Iran, Türkei, Ägypten, Polen, Eritrea, Ukraine und Rumänien.
Abbildung 1: Top-8 Herkunftsländer der Ratsuchenden im 1. Halbjahr 2019
Neben Syrien, Iran, Türkei und Afghanistan, welche nach Zahlen des BAMF zu den Top 10 der Länder gehören, aus denen Menschen in Deutschland Schutz suchen, nehmen auch Menschen aus anderen Ländern das Angebot des Kompetenzzentrums wahr, die Unterstützung bei der beruflichen Integration und Nachqualifizierung benötigen:
2. Angaben zur Geschlechterverteilung
Abbildung 2: Geschlechterverteilung der Ratsuchenden im 1. Halbjahr 2019
Die Geschlechterverteilung bleibt konstant bei einem Verhältnis von 55,2 % Frauen zu 44,8 % Männern. Die Themen der Beratungsvorgänge sind bei beiden Geschlechtern nahezu identisch. Diese werden unter Punkt 4 näher beleuchtet.
3. Angaben zum Alter
Abbildung 3: Altersspiegel der Ratsuchenden im 1. Halbjahr 2019
Weiterhin ist der Altersspiegel konstant mit einem Durchschnitt zwischen 20 und 40 Jahren (rund 55 %) konstant. Aufgrund der Ausrichtung des Angebots ist diese Verteilung nachvollziehbar, da es im Kinder- und Jugendalter eine Vielzahl an Angeboten gibt, welche die Integration fördern. Die Kooperation mit diesen Trägern ist zum einen notwendig, um als Anlaufstelle für Ratsuchende zu agieren, die durch etwaige Zulassungskriterien fallen und zum anderen um unseren Ratsuchenden die bestmögliche Unterstützung zu bieten.
4. Angaben zu den bearbeiteten Themen
In Summe lassen sich aus den häufig bearbeiteten Themen 4 Schwerpunkte der alltäglichen Arbeit clustern.
- • Informations- und Bildungsberatung
Ein Großteil der Beratungsanfragen befasst sich mit allen Themen der beruflichen (Weiter-) Bildung. Weiterbildung und Nachqualifizierung ist insbesondere dann notwendig, wenn Fachkräfte aus anderen Ländern Probleme mit dem Berufseinstieg in Deutschland haben, da ihnen branchenspezifische Nachweise fehlen, welche sie in ihrem Heimatland nicht erwerben konnten. Rechtliche und steuertechnische Grundlagen für kaufmännische Berufe, Produktionsstandards für das verarbeitende Gewerbe oder Sicherheitsschulungen sind dabei nur einige Beispiele für potenzielle Bildungswege unserer Ratsuchenden. Neben den fachlichen Stellen wie Kammern, Verbänden oder Innungen wird hier in vielen Fällen eng mit den Fallmanagern der Arbeitsagentur zusammengearbeitet, wodurch in vielen Fällen eine Förderung durch den Bildungsgutschein ermöglicht werden konnte. Die Verzahnung mit dem Qualifizierungsscheck (ProAbschluss) und der Bildungsprämie sind hier ebenfalls äußerst gewinnbringend.
- • Lotse im deutschen Bildungssystem
Das deutsche Bildungssystem ist mit seinen Eigenheiten so vielschichtig, dass selbst Personen, welche dieses durchlaufen haben, die individuellen Potenziale kaum einschätzen können. Unsere Ratsuchenden stoßen hier oft an ihre Grenzen. Warum muss ich meine Dokumente anerkennen lassen? Was bringt mir eine Ausbildung? Warum muss ich zunächst einen Schulabschluss nachholen? Diese grundsätzlichen Fragen bearbeiten die Beraterinnen und Berater gemeinsam mit den Ratsuchenden um als Lotse den Weg zum großen Wunsch der Berufstätigkeit zu unterstützen. Ziel ist es, ein Verständnis des eigenen Standpunktes zu gewinnen und dadurch Perspektiven zu entwickeln. Dazu gehört insbesondere auch die berufliche Umorientierung bei einer Beschäftigung in oftmals prekären Beschäftigungsverhältnissen oder bei Aufstockung durch das Jobcenter.
- • Erstellen eines Bewerbungsprofil
Ebenfalls sehr gut angenommen wird das Angebot zur Unterstützung bei Bewerbungsunterlagen. Hier startet das Angebot bei der einfachen Korrektur bzw. Überprüfung der Unterlagen auf Fehler oder Unstimmigkeiten und geht bis hin zur kompletten Erstellung eines aussagekräftigen Bewerbungsprofil. In teilweise mehrstündigen Sitzungen erarbeiten die Ratsuchenden ihre eigenen Bewerbungsunterlagen gemeinsam mit den Beraterinnen und Beratern, welche das Vorgehen detailliert erläutern. Dazu gehört auch die Anerkennungsberatung von bereits absolvierten Bildungswegen im Ausland.
- • Sprachkurse
Die Sprache gilt als Schlüssel einer erfolgreichen Integration- dementsprechend nimmt insbesondere die berufssprachliche Bildung einen großen Teil der Beratungsarbeit ein. Viele Unternehmen setzen für den Start einer Ausbildung das Deutsch B2-Zertifikat voraus – in Anbetracht der schriftlichen- und Lesekompetenzen scheint dies auch notwendig, um Ausbildungsabbrüche zu vermeiden. Die Beraterinnen und Berater sensibilisieren daher zum Erwerb der notwendigen Sprachkompetenzen und vermitteln zwischen Ratsuchendem, Betrieb und den Bildungsstätten.
- • Finanzierungsfragen
Finanzierungsfragen erreichen uns auf unterschiedlichen Ebenen. Auf Seiten der Ratsuchenden ist viel Klärungsbedarf zu Finanzierungsfragen in nahezu allen Lebensbereichen gefordert. Hier können wir nur zu bildungsspezifischen Themen beraten – darüber hinaus ist ein gutes Netzwerk erforderlich, um auch bei weitergehenden Fragen an passende Einrichtungen verweisen zu können.
Auch von Unternehmensseite erreichen uns Anfragen bezüglich der Finanzierung, beispielsweise bei der Ausbildung von Geflüchteten. Hierzu stehen die BeraterInnen in engem Kontakt mit dem Arbeitgeberservice der Agentur für Arbeit, wodurch bereits ausbildungsbegleitende Unterstützungen erfolgreich beantragt werden konnten.
5. Ausblick
Die Arbeit mit individuellen, komplexen Problemlagen zeigen oft deutlich auf, dass individuelle Lösungen notwendig sind. Insbesondere finanzielle Hürden tragen teilweise dazu bei, dass Menschen mit Flucht- oder Migrationshintergrund bestimmte Angebote nicht wahrnehmen können.
Das Kompetenzzentrum hat daher ein kleines Budget über Spenden eingerichtet, mit denen kleine, kurzfristige Unterstützungen möglich sind. Dazu können Fahrtkosten mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln zählen, um zum Bewerbungsgespräch, Praktikum oder ähnliches zu gelangen, Kosten für Bewerbungsunterlagen, für Amtsverfahren oder Einbürgerungstests, etc.. Voraussetzung ist, dass keine andere Förderung greift. Hier ergeben sich potenzielle Felder mit nahezu jedem Gespräch.
Neben der Beratung ergeben sich weitere Handlungsfelder auch durch die Kooperation mit anderen Trägern, welche sich seit 2015 im Bereich der Unterstützung von geflüchteten / migrierten Menschen stetig festigt. So beteiligen sich die Mitarbeiter des Kompetenzzentrums beispielsweise aktiv in strukturschaffenden Arbeitskreisen zur Vereinfachung von Integrationsprozessen auch über berufliche Fragen hinaus – das dadurch entstandene Netzwerk bietet Unterstützung in nahezu allen Lebensbereichen.
In Zusammenarbeit mit dem Programm „Aktive Nachbarschaft“ wurde im Juni 2019 zusätzlich eine Kooperation angeregt die es ermöglicht, die aufsuchende Beratung auch in die Quartiere der Stadt Frankfurt am Main zu transportieren. Neben Beratungen vor Ort sind Workshops, Vorträge und Themennachmittage mit der Zielgruppe vor Ort geplant.
Mit individueller Beratung und Begleitung finden Flüchtlinge einen Zugang zum Arbeitsmarkt
Frau S. - Chemielaborantin
Frau S. kam im Januar zur Beratung ins Kompetenzzentrum. Zusammen mit ihren zwei Schwestern und ihrer Mutter ist sie 2015 aus Syrien über die Türkei nach Deutschland geflohen. Auch ihrer Schwestern haben die Beratung der Walter-Kolb-Stiftung e.V. in Anspruch genommen; beide haben bereits mit einer Ausbildung und einem Studium begonnen.
Frau S. will eine Ausbildung zur Chemielaborantin beginnen. Eigeninitiativ hat sie verschiedene potenzielle Arbeitgeber herausgesucht und angeschrieben. Doch leider wurden ihre Bewerbungen entweder nicht beantwortet oder abgesagt. Mit diesen frustrierenden Erfahrungen wendete sie sich an die Walter-Kolb-Stiftung e.V.
Im ersten Schritt haben die Mitarbeiter des Kompetenzzentrums die umfangreichen Bewerbungsunterlagen und Zeugnisse von Frau S. gesammelt. Der Lebenslauf warf viele Fragen auf, die sich im Bewerbungsverfahren nachteilig für Frau S. auswirken konnten. Frau S. erklärte in einem anschließenden persönlichen Beratungstermin, dass sie ihren Lebenslauf stark vereinfacht darzustellen versuchte – so, wie es in ihrem Heimatland üblich ist, hierzulande jedoch zahlreiche Fragen aufwirft. In wenigen Sitzungen wurde der Lebenslauf gemeinsam mit Frau S. überarbeitet werden, sodass nun ein aussagekräftiges Profil über die äußerst engagierte potenzielle Auszubildende vorliegt.
Im zweiten Schritt wurde gemeinsam nach geeigneten Stellen gesucht und die Bewerbungsunterlagen versandt. Bis dato hat sich bereits einer der angeschriebenen Stellenanbieter zurückgemeldet und Frau S. konnte ihr erstes Vorstellungsgespräch wahrnehmen. Auch auf dieses konnten die Berater sie fachgerecht vorbereiten. Aktuell wartet Frau S. auf weitere Rückmeldungen und steht im engen Kontakt mit dem Kompetenzzentrum.
Frau A. - Altenpflegerin
Seit Februar 2016 lebt Frau A. in Deutschland. Ihre Geschichte ist keine klassische Fluchtgeschichte: Sie ist über einen Bundesfreiwilligendienst nach Deutschland gekommen. Sich möchte hier berufstätig werden und sich eine neue Existenz aufgrund unsicherer Verhältnisse in ihrem Heimatland aufbauen.
Die Unterstützung durch das Kompetenzzentrum bezog sich auf zwei Anliegen:
Zum einen war der Aufenthaltsstatus von Frau A. unklar. Zwar reichen ihre Deutschkenntnisse aus, um sich problemlos auf Deutsch zu verständigen. Der Kontakt mit den Ämtern stellte sie jedoch vor Schwierigkeiten. In der Beratung stellte sich heraus, dass Frau A. einen Aufenthaltstitel beantragen muss. Daher unterstützten die Berater des Kompetenzzentrums sie bei der Korrespondenz, um das Verfahren für den Erhalt des Aufenthaltstitels so schnell wie möglich einzuleiten.
Trotz des unklaren Aufenthaltsstatus sprachen die Mitarbeiter des Kompetenzzentrums mit Frau A. auch über ihre beruflichen Perspektiven. So wurde als erstes über die Anerkennung ihres im Heimatland absolvierten Medizinstudiums gesprochen, mit der sie auch in Deutschland als Ärztin arbeiten darf. Frau A. kannte sich bereits bestens mit den notwendigen umfangreichen Schritten aus, den dieser Weg zur Folge hätte.
Ihr Wunsch ist daher eine einfacher zu bewerkstelligende Anstellung in der Altenpflege. Trotz akutem Fachkräftemangel wurde sie an einer Pflegefachschule für die Ausbildung zur Altenpflegerin abgelehnt. Begründet wurde dies nicht etwa mit dem unklaren Aufenthaltsstatus oder ihren Deutschkenntnissen, sondern mit ihrem Studium, das sie für die Ausbildung überqualifiziere.
Die Berater des Kompetenzzentrums haben daraufhin Kontakt zu verschiedenen Fachschulen aufgenommen, um die Situation von Frau A. zu klären. Sie erhielten von einer Altenpflegeschule die Rückmeldung, dass sie Frau A. unbedingt als Auszubildende aufnehmen möchten.
Herr Koka - Karosseriebauer
Über Bekannte hatte Herr Koka vom Kompetenzzentrum erfahren und vereinbarte einen kostenfreien Beratungstermin. Herr Koka ist in Aleppo, Syrien, aufgewachsen und zur Schule gegangen. Nach zehn Schuljahren hat er eine Arbeit im technischen Bereich aufgenommen, um seine Familie finanziell zu unterstützen. Der Krieg in Syrien zwang ihn 2015 dazu, seine Heimat zu verlassen. Über die Balkanroute floh er über viele Monate nach Deutschland. Bis auf einen offiziellen Nachweis über seinen Schulabschluss hat Herr Koka keinerlei Belege über seine Berufserfahrung. Zwischen 2015 und 2017 hat Herr Koka intensiv Deutsch gelernt. Mithilfe der Beratung und Begleitung des Kompetenzzentrums konnte ein Profil erstellt werden, mit dem er ein Praktikum im Karosseriebau gefunden hat. Durch hohe Motivation und Einsatzbereitschaft konnte er von sich überzeugen, sodass er dort nun eine Einstiegsqualifikation absolviert, um mit dem neuen Schuljahr eine Ausbildung zu beginnen. Nach wie vor ist sein Arbeitgeber von seinem Einsatzwillen und seiner Lernbereitschaft sehr angetan. Und auch Herr Koka berichtet, dass ihm die Arbeit sehr viel Freude bereitet. Das Kompetenzzentrum unterstützt Herrn Koka und den Arbeitgeber auch im weiteren Verlauf der Ausbildung.
Herr Zaidan - Goldschmied
Herr Zaidan ist ebenfalls im Jahr 2015 aus Syrien nach Deutschland geflohen und lebt seitdem in Frankfurt am Main. Unmittelbar nach der Schulzeit hat er in Syrien als Goldschmied gearbeitet. In acht Berufsjahren hat er einen eigenen Laden in seiner Heimatstadt eröffnet und Schmuckkollektionen erstellt, bis er aufgrund des Krieges seine Heimat verlassen musste. Die Fluchtroute verlief über die Balkanroute mit vielen Widrigkeiten. Die Dokumente zu seiner Arbeit musste er zurück lassen. Ohne die notwendigen Nachweise konnte seine Berufserfahrung nicht anerkannt werden. Einzig Fotografien seiner Werke konnte er vorweisen - und diese sind ein Zeugnis seines Talentes. Die Beraterinnen und Berater des Kompetenzzentrums haben mit diesen Fotos die Zeichenakademie Hanau kontaktiert. Diese erklärten sich dazu bereit, in Form einer Arbeitsprobe das technische Geschick von Herrn Zaidan auch formal zu überprüfen. Dieser Test verlief so positiv, dass Herr Zaidan in das zweite Lehrjahr der Goldschmiedeausbildung einsteigen konnte.