Tiefenpsychologische Studie zur Arbeitswelt 4.0: Seelische Konflikte führen zu Selbstausbeutung

Digitalisierung, automatisierte Prozesse und Künstliche Intelligenz verunsichern Berufstätige stärker als bislang vermutet. Dabei konkurrieren Ohnmachtsgefühle mit großen Hoffnungen. Eine tiefenpsychologische Studie des rheingold Instituts im Auftrag der randstad stiftung entschlüsselt die aufreibenden seelischen Konflikte der Berufstätigen und zeigt Wege aus dem Dilemma.

Mangelnde Wertschätzung, die Entwertung von Erfahrung und die drohende Ersetzbarkeit durch Roboter und Algorithmen führen zu seelischen Belastungen, denen zur Bewältigung eine hoffnungsvolle Selbstbeschwichtigung entgegengesetzt wird. Dies ist eine zentrale Erkenntnis der Studie »Zwischen Angst und Verheißung«, die die randstad stiftung mit dem auf tiefenpsychologische Marktforschung spezialisierten Kölner rheingold institut umgesetzt hat. »Das Hin und Her zwischen verlockenden und angstbesetzten Erwartungen an die digitale Zukunft ist für die Betroffenen energieraubend«, konstatiert rheingold Geschäftsführer Stephan Grünewald. Als Konsequenz seien viele Arbeitnehmer zur Selbstausbeutung bereit und bewegten sich oft am Rande der Erschöpfung.

Angst vor Kontrollverlust und Ohnmacht

Die Digitalisierung verändert nahezu jeden Arbeitsplatz, jedes Berufsbild und jede Lebensplanung und verunsichert Menschen quer durch alle Berufsgruppen. Vierzig Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Alter von 25 bis 60 Jahren haben die Forscher in Tiefeninterviews qualitativ befragt. »Über allem steht die Sorge, den Anschluss zu verpassen und für die Digitalisierung nicht ausreichend qualifiziert zu sein«, sagt rheingold Studienleiterin Jasmin Volk. Viele hätten darüber hinaus Angst, überwacht und eines Tages von Robotern ersetzt zu werden. »Maschinen machen keine Fehler, Menschen schon. Deshalb hat der Mensch sicher bald keine Arbeit mehr«, befürchtet eine der Befragten. 

Künftig weniger und anders arbeiten

Doch auch die positiven Erwartungen an die Digitalisierung haben eine hohe Wirksamkeit: »Wenn sich die Leute nicht mehr körperlich kaputtarbeiten müssten, wäre das doch etwas Gutes«, äußert einer der Probanden. Künftig weniger und anders zu arbeiten, den Fachkräftemangel durch den Einsatz von Digitaltechnik aufzufangen und generell Arbeitsabläufe vereinfachen zu können, sind einige der mit dem digitalen Wandel verbundenen Hoffnungen, die die Berufstätigen zu immer neuen Anstrengungen motivieren. Die Digitalisierung, so Grünewald, schaffe durch Angst und Verheißung ein »seelisch komplexes Korrumpierbarkeits-System.«

Vom Match-Work zum Stretch-Work

Die alte Arbeitswelt, die sich gerade in der Auflösung befindet, wird von den Interviewten mit hoher Sicherheit verbunden. Insgesamt gab es eine enorme Passung von Mensch und Arbeit (Match-Work). Diese Welt, die im Gegensatz zur hohen Dynamik der neuen Welt als haltgebend und beständig gilt, wird oft in der Rückschau idealisiert – ihre Harmonie wird vermisst. Auf der anderen Seite tut sich die neue Welt auf, das Stretch-Work. Hier ist der Mensch gefordert, sich möglichst biegsam auf alle Veränderungen einzustellen und geschmeidig den immer neuen Bedingungen und Anforderungen anzupassen.

Unternehmen sollten die Mitarbeiterbedürfnisse im Blick haben

Aus den Ergebnissen der Studie leiten die Autoren Handlungsempfehlungen für Unternehmen ab. Um ihre Mitarbeiter auf die Reise in die digitale Zukunft der Arbeit bestmöglich mitnehmen zu können, gehe es nicht nur um gezielte Weiterbildung. Vielmehr solle der Blick auf das gesamte Spektrum der Mitarbeiterbedürfnisse gerichtet werden. »Arbeitgeber sollten im Arbeitsalltag Möglichkeiten zum Reflektieren über die Chancen und Risiken der Digitalisierung bieten«, rät Grünewald. Geschulte Ansprechpartner sollten diesen teilweise auch schmerzhaften Prozess begleiten und den Fokus auf neue Chancen richten.

Transparenz über Risiken und Misserfolge der Digitalisierung

»Zur Vertrauensbildung gehört auch die Transparenz über Risiken und Misserfolge«, ist sich Hanna Daum, Geschäftsführender Vorstand der randstad stiftung, sicher. »Alle Strategien, die Sicherheit vermitteln, sind sinnvoll und wünschenswert, damit Arbeitnehmer die Chancen der Digitalisierung ergreifen.«

Impuls zur Zukunft der Arbeitswelt

Die randstad stiftung möchte mit der Studie »Zwischen Angst und Verheißung – Wie erleben Menschen die Digitalisierung der Arbeitswelt?« im Rahmen ihrer Publikationsreihe »Impulse für unsere Arbeitskultur« zur Reflexion und Diskussion über die Auswirkungen der digitalen Veränderungen der Arbeitswelt anregen. Mit dem rheingold institut hat die Stiftung einen renommierten Partner der qualitativ-psychologischen Wirkungsforschung gefunden. Ihr Fokus liegt auf den unbewussten seelischen Einflussfaktoren und Sinnzusammenhängen, die das Handeln eines jeden Menschen mitbestimmen.